Im Vergleich zu Deutschland hat dieser Feiertag hier in Bolivien eine ganz andere, höhere Bedeutung und ist so traditionsreich, dass ich ihn euch nicht vorenthalten mag:
Man glaubt, dass in diesen Tagen die Geister der Toten auf die Erde kommen und man sich für ein paar Stunden mit ihnen unterhalten kann, weshalb man alles für deren Ankunft vorbereitet. Und das ist ein riesen Aufwand!
Bereits am Freitag wird in den Haushalten, in denen innerhalb der letzten 3 Jahre eine Person verstorben ist, angefangen, Brot zu backen. Aber nicht irgendwelches Brot, sondern Brot-Figuren mit eingedrückten Tongesichtern, die die jeweilige verstorbene Person darstellen sollen.
Am Samstag wird dann ein Gabentisch gedeckt, natürlich mit ganz viel Brot, Süßigkeiten, Früchten und all den Lieblingsspeisen des Verstorbenen, um diesen zu empfangen.
Man glaubt, dass ab 12 Uhr mittags der Geist des Toten 24 Stunden lang anwesend ist, und man mit ihm essen und reden kann.
Am Sonntag dann werden um 12 Uhr all die Süßigkeiten, das Brot, die Früchte und der ganze Rest auf den Friedhof gebracht und ans Grab des Toten gelegt.
Dort baut man dann einen kleinen (oder großen) Altar auf und wartet, dass andere Leute ein Gebet für den jeweiligen Toten sprechen. Für die Anteilnahmen erhält derjenige dann eine Gabe vom Altar.
Das ließen wir Volontäre uns natürlich nicht entgehen und wollten mit diesem Hintergrundwissen die bolivianische Kultur noch ein Stück weit besser kennenlernen.
Da man uns sagte, dass die Tradition auf dem Land noch viel stärker ausgeprägt sei, sind wir zu 5. aus der Großstadt La Paz in das kleine Dörfchen Viacha gefahren.
Mit dem was uns da erwartete, hatte wohl keiner von uns gerechnet.
Wer denk, dass ‚Todos los Santos‘ ein Trauerfest ist oder gar so ’steif‘ wie in Deutschland gefeiert wird, den werde ich nun vom besseren belehren.
Der Friedhof war wie ein Schützenfest! Man konnte Trampolinspringen, Riesenradfahren – und alle Gräber waren bunt und fröhlich geschmückt.
Schon außerhalb des Friedhofs waren Straßen voll mit Altären und Gedenkstätten für verstorbene Personen, sodass es uns innerhalb der 3 Stunden die wir in Viacha verbrachten nicht möglich war, auch nur den Friedhof zu betreten.
Anfangs noch etwas zögerlich und unbeholfen, wussten wir nicht so recht wie wir uns verhalten sollten – auch wenn das Prinzip klar war. Man geht zu einem Grab, fragt wie der Tote heißt, betet 3 Mal das Vater unser und kriegt als Dankeschön dafür Brot.
Trotzdem war es anfangs wirklich sehr unangenehm, da wir es von Deutschland einfach nicht kannten.
Aber nach kurzer Zeit blühten wir auf und die Leute scheinbar auch. Es wurde sich regelrecht um und ‚Weißen‘ gerissen; wir wurden von einem Altar zum anderen gezogen, ausgefragt, fotografiert und interviewt. Und dies mit der Bitte, nicht nur 3x für die verstorbene Mutter zu beten, sondern auch noch für Vater, Opa, Oma, Bruder, Schwester … – sodass nicht selten 18x das Vater unser aufgesagt wurde – und die Zunge sich ganz automatisch verknotet.
Erst gegen Ende unseres Friedhofbesuches fiel mir daher angesichts des Sackes voller Brot, den wir schon zusammen gebetet hatten, die Wahrhaftigkeit des der Phrase “’… unser tägliches Brot gib uns heute“ auf, und so konnte ich mir während des 100. Vater Unser ein kleines Grinsen irgendwann nicht mehr verkneifen.
Nein, “alltäglich“ war das wohl wirklich nicht, sonst hätten wir nicht jetzt noch, ca. 1 Monat nach Allerheiligen, Massen von hartem Brot, was auf seine Verarbeitung wartet.